„Kauf dir mal ein Buch. Loser!“ Klasse, Körper und Kanon in Eva Müllers Scheiblettenkind (2023)

Sonntag, 02.06.2024
12:00 Uhr
Ort: Kollegienhaus, KH 1.013

mit Salon-Ticket Eintritt frei!

Die Protagonistin des autofiktionalen Comics „Scheiblettenkind“ (2023) von Eva Müller durchläuft diverse Jobs und Ausbildungen, bis sie sich schließlich für ein Kunststudium und eine Karriere als Comic-Künstlerin entscheidet. Der als Entwicklungsroman angelegte Comic hinterfragt die Möglichkeiten sozialer Mobilität und offenbart dabei zentrale Aspekte von Klassismus: eine stereotype und (internalisiert) herabsetzende Wahrnehmung von Menschen aus sogenannten niedrigeren Schichten und einen sozialen Determinismus qua Geburt/Herkunftsmilieu. Die Klassenzugehörigkeit wird etwa durch eine Schlange personifiziert, die der Protagonistin Selbstzweifel und Bösartigkeiten wie „Du weißt nicht, was Entrecôte ist? Lächerlich. Kauf dir mal ein Buch. Loser!“ oder „Du siehst aus wie ein Bauer“ (2023, 12, 237) einflüstert. Dadurch gelingt es Müller, Klassismus körperlich/visuell zu fassen. Das bildungsbürgerliche Kryptozitat in Form einer Barkeeperin, die an die Bardame in Édouard Manets Gemälde „Bar in den Folies-Bergère“ (1882) angelehnt ist, bildet – jenseits von stereotypen und potentiell problematischen visuellen Zuschreibungsmöglichkeiten durch Kleidung und andere äußerliche Identitätsmarker –, eine weitere, innovative Möglichkeit der Darstellung von Klasse. Auf eine ganz bestimmte, enge kulturelle Referenz anspielend, lassen sie die Leser*innen sich potenziell dabei ertappen, diesen privilegierten Code zu verstehen. Das symbolische Gut des bildungsbürgerlichen Referenzsystems in Bezug auf Körperdarstellungen wird zum Ansatzpunkt der Analyse von Klasse bzw. Klassismus im Comic, die bislang im deutschsprachigen Raum selten erfolgt, u. a. auch weil ihre Darstell- und Lesbarkeit gewissen Schwierigkeiten unterliegt. In intersektionalen Untersuchungen im deutschsprachigen Raum ist die Kategorie ‚Klasse‘ deshalb häufig unterrepräsentiert bzw. wird erst in den letzten Jahren verstärkt thematisiert.

Moderation: Clemens Heydenreich

Präsentiert von der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor e. V.)